12 Sep. Viel Neues im Urlaubsrecht
Das Bundesarbeitsgericht hat sich im Jahr 2019 mit verschiedenen Aspekten des Urlaubsrechts beschäftigt. Die Entscheidungen und ihre Konsequenzen sind so bedeutsam, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sie kennen sollten.
1. „Geerbter Urlaub“
Bereits zu Beginn des Jahres 2019 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 22.01.2019) festgestellt, dass aufgrund der europäischen Arbeitszeitrichtlinie der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Mindestjahresurlaub nicht mit dem Tod des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis untergehen darf, ohne dass ein Anspruch auf finanzielle Vergütung für diesen Urlaub besteht. In Fortführung einer Entscheidung des europäischen Gerichtshofs hat das BAG jetzt entschieden, dass die nach dem europäischen Unionsrecht gebotene Auslegung der §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG ergibt, dass der Resturlaub vom Arbeitgeber auch dann abzugelten ist, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. Dies gelte sowohl für den gesetzlichen Mindesturlaub im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes als auch für den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte Menschen. Endet das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers im laufenden Urlaubsjahr, ist der Urlaub wie in allen anderen Fällen, in denen er nicht mehr in natura genommen werden kann, nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten, d. h. auszuzahlen. Dieser Anspruch des Arbeitnehmers gehe nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben des Arbeitnehmers über. Dies bedeutet für Erben zwar nicht, dass sie den Urlaub selbst erben, sie erwerben jedoch einen Anspruch auf Bezahlung (Abgeltung) des noch bestehenden Urlaubsanspruchs des Erblassers.
2. (Nicht) „verfallener Urlaub“
Bislang gingen wir nach Gesetz und Rechtsprechung davon aus, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel erlischt, wenn er vom Arbeitnehmer innerhalb des laufenden Urlaubsjahres aus freien Stücken nicht genommen wurde.
Diese Einschätzung hat sich aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung des BAG inzwischen überholt. Diese Änderung resultiert wiederum aus einer Entscheidung des europäischen Gerichtshofs über die Auslegung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie. Der EuGH hatte entschieden, dass die „Initiativlast“ für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers auf Seiten des Arbeitgebers liegt. Dies bedeute, dass der Arbeitgeber „konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen habe, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordert dies zu tun“.
Das BAG folgert hieraus nun mit Urteil vom 19.02.2019, dass der Verfall von Urlaub im Sinne des § 7 BUrlG nach richtlinienkonformer Auslegung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie nur erfolgen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat den Urlaub zu nehmen, und ihn klar und rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub andernfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres erlischt.
Zukünftig werden Arbeitgeber daher, wenn Sie die den Verfall des Urlaubsanspruchs herbeiführen wollen, unter Berücksichtigung des individuellen Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers diesen – gegebenenfalls förmlich, d. h. wohl schriftlich – dazu auffordern, seinen Resturlaub bis zum Jahresende noch zu nehmen und ihn gleichzeitig darauf hinweisen, dass er, wenn er ihn gleichwohl nicht nimmt, ansonsten verfallen wird.
3. „Urlaub vom (Sonder-)Urlaub“
Ein weiteres kurioses Urteil des BAG vom 19.03.2019 beschäftigt sich mit einer eher unüblichen Konstellation. Ein Arbeitnehmer, der bereits über 20 Jahre bei seinem bisherigen Arbeitgeber beschäftigt war, hatte von diesem „unbezahlten Sonderurlaub“ für ein Jahr erbeten und auch gewährt bekommen. Nach Beendigung des Sonderurlaubs und Wiederantritt der Arbeitstätigkeit verlangte der Arbeitnehmer nunmehr vom Arbeitgeber ihm den für das vorangegangene Jahr zustehenden gesetzlichen Mindesturlaub zu gewähren. Das BAG hat hierzu ausgeführt, dass durch die Gewährung unbezahlten Sonderurlaubs die Arbeitsvertragsparteien gegenseitig ihre Hauptleistungsverpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis vorübergehend ausgesetzt haben. Dies führe dazu, dass einem Arbeitnehmer für ein Kalenderjahr, in dem er sich durchgehend im unbezahlten Sonderurlaub befindet, mangels einer Arbeitspflicht auch kein Anspruch auf Erholungsurlaub zusteht.
Diese Entscheidung wird Arbeitgeber voraussichtlich erleichtern, mussten sie doch in den vergangenen Jahren (aufgrund entsprechender Urteile des EuGH) bereits „die Kröte schlucken“, dass der Arbeitnehmer auch einen Anspruch auf Urlaub hat, wenn er das gesamte Jahr über krank war. Zumindest steht jetzt fest, dass die Vereinbarung unbezahlten Sonderurlaubs nicht auch noch zusätzliche (gesetzliche Mindest-) Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers zur Folge hat.
Aus den vorstehenden Ausführungen wird deutlich, dass europäisches Recht und die Rechtsprechung des EuGH immer größere Einflüsse auf unser nationales Arbeitsrecht nehmen. Die Entwicklungen und Neuerungen gehen zum Teil in rasantem Tempo vor sich. Um seine Rechte – aber auch seine Pflichten zu kennen und danach zu handeln ist es daher erforderlich, sich ständig informiert zu halten.
Christian Brunssen – Rechtsanwalt & Notar – Fachanwalt für Arbeitsrecht